VGH Baden-Württemberg lockert Anforderungen an die öffentliche Auslegung

Mit Urteil vom 15.06.2016 (Az. 5 S 1375/14) hat der VGH Baden-Württemberg begonnen, seine bisherige Rechtsprechung aufzugeben, wonach es keine ordnungsgemäße öffentliche Auslegung darstellt, wenn der Bürger erst nach ausgelegten Planunterlagen fragen muss. Einem „mündigen“ Bürger könne es vielmehr zuzumuten sein, sich bei auskunftsbereiten Bediensteten der Gemeinde nach den ausgelegten Planunterlagen zu erkundigen.

Der Fall

Die Antragstellerin wandte sich mit ihrem Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan „A.“ der Antragsgegnerin vom 24.07.2014. Sie führte u. a. an, die Bekanntmachung der Auslegung des Planentwurfs verstoße gegen § 3 Abs. 2 BauGB. Die Planunterlagen seien nicht vollständig ausgelegt und der interessierte Bürger habe sich erst durchfragen und die Herausgabe der Planunterlagen fordern müssen.

Die Entscheidung

Der Verwaltungsgerichtshof hat entschieden, dass die Auslegung selbst keinen Verfahrensfehler aufweist. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB war der Entwurf des Bebauungsplans mit der Begründung und den nach Einschätzung der Gemeinde wesentlichen, bereits vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen für die Dauer eines Monats öffentlich auszulegen. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung stand zur Überzeugung des Senats fest, dass die Auslegung – der Bekanntmachung entsprechend – beim Stadtplanungsamt erfolgte und die im dortigen Flur ausgelegten Unterlagen für jeden frei zugänglich waren. So war im zu entscheidenden Fall nach Überzeugung des Senats jedenfalls der zeichnerische Teil des Bebauungsplans ausgelegt. Dieser war an einer im Flur aufgestellten Stellwand befestigt. Es konnte hingegen nicht zweifelsfrei geklärt werden, ob auch die restlichen Unterlagen, d. h. der Entwurf des textlichen Teils des Bebauungsplans, der Planbegründung und der örtlichen Bauvorschriften sowie das artenschutzrechtliche Gutachten, bei der konkreten Einsichtnahme in einem Aktenordner auf einem kleinen Tisch vor der Stellwand ausgelegt waren. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung konnte aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Aktenordner von einem anderen Bürger in die Besprechungsnische mitgenommen worden war, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Ort der Auslegung befand, um sich dort über dessen Inhalt zu informieren. Sollte tatsächlich der Aktenordner bei der konkreten Einsichtnahme nicht vorhanden gewesen sein, wäre es dem Einsichtnehmenden nach dem VGH Baden-Württemberg unter den konkreten Umständen des vorliegenden Falls zumutbar gewesen, sich nach den restlichen Planaufstellungsunterlagen bei den Mitarbeitern der Antragsgegnerin zu erkundigen. Aufgrund der Bekanntmachung sei er darüber informiert, dass neben dem zeichnerischen Teil weitere Unterlagen Gegenstand der Auslegung sein sollten. Sollte er sie vermisst haben, wäre es ihm als „mündigem Bürger“ ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, bei den Mitarbeitern des Stadtplanungsamts nachzufragen. Denn deren Büroräume befanden sich direkt neben dem ausgelegten zeichnerischen Teil des Bebauungsplans.

Folgen für die Praxis

Nachdem das Bundesverwaltungsgericht die Anforderungen der bisherigen Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg, dass „jeder Interessierte ohne weiteres, d. h. ohne noch Fragen und Bitten an die Bediensteten der Gemeinde stellen zu müssen, in die Unterlagen Einblick nehmen kann“, als „überzogen“ bezeichnet hat, hält der Senat hieran nicht weiter fest. Um sicher zu gehen, sollten Gemeinden auch künftig alle Unterlagen zu jedermanns Verfügung auslegen.