BGH: Lang erwartete Entscheidung zur Verjährung von Schadensersatzansprüchen für Kartellgeschädigte

Die Hemmung des Laufs der Verjährung kartellrechtlicher Ansprüche auf Schadensersatz durch die Einleitung eines Bußgeldverfahrens (§ 33 Abs. 5 GWB 2005, jetzt § 33 h Abs. 6 GWB) gilt auch für Ansprüche, die zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung (Juli 2005) bereits bestanden, aber noch nicht verjährt waren (BGH, Urteil vom 12.06.2018 – KZR 56/16 – Grauzementkartell II).

Der Fall

Die Klägerin, eine Baustoffhändlerin, erhob gegen die Beklagte, eine Zementherstellerin, Schadensersatzansprüche und machte geltend, sie habe in den Jahren 1993 bis 2002 wegen deren Beteiligung an einem Kartell überhöhte Preise für Zement zahlen müssen. Die Beklagte hatte mit anderen Herstellern wegen unerlaubter Quotenabsprachen gegen das Kartellrecht verstoßen. Gegen die Beklagte wurde deshalb 2003 ein Bußgeld festgesetzt. Der Bußgeldbescheid wurde 2013 rechtskräftig (BGH, Beschluss vom 26. Februar 2013 – KRB 20/12). Hauptgegenstand des Streits war, ob die Schadensersatzansprüche der Klägerin verjährt sind.

Hintergrund und Entscheidung

Im Juli 2005 trat eine gesetzliche Bestimmung in Kraft, wonach der Lauf der Verjährung eines Schadensersatzanspruchs wegen eines Kartellverstoßes durch die Einleitung eines Bußgeldverfahrens wegen dieses Verstoßes gehemmt wird (§33 Abs. 5 GWB 2005).

Die Frage, ob diese Norm auch auf Schadensersatzansprüche anwendbar ist, die im Juli 2005 zwar bereits bestanden, aber noch nicht verjährt waren, wurde sowohl in der Fachliteratur als auch in der Rechtsprechung der Instanzgerichte bislang unterschiedlich beurteilt. Während die Klägerin beim Landgericht einen Erfolg mit ihrer Schadensersatzforderung erzielte, verneinte das Oberlandesgericht in Karlsruhe die Anwendung von § 33 Abs. 5 GWB (2005) auf „Altfälle“ und sah die Ansprüche als verjährt an (OLG Karlsruhe – Urteil vom 9. November 2016 – 6 U 204/15 Kart. (2)).

Nun entschied der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs, dass § 33 Abs. 5 GWB 2005 auch auf Schadensersatzansprüche Anwendung findet, die auf Kartellverstößen beruhen, die vor Juli 2005 begangen wurden und zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt waren. Dies entspräche einem allgemeinen Rechtsgedanken, wonach bei einer Änderung der gesetzlichen Bestimmungen über die Verjährung eines Anspruchs das neue Gesetz ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens auf zuvor bereits entstandene, zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährte Ansprüche Anwendung findet. Dieser bereits vom Reichsgericht entwickelte Grundsatz habe sowohl in Art. 169 EGBGB als auch – in jüngerer Zeit – in Art. 231 § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 EGBGB und Art. 229 § 6 Absatz 1 Satz 1 und 2 EGBGB seinen Niederschlag gefunden.

Sinngemäß und schlagwortartig verkürzt gilt also: Auch solche „Altschadensersatzansprüche“ verjähren nicht, solange ein Bußgeldverfahren wegen des Kartells läuft.

Fazit

Die nicht nur von der „Kartellrechts-Community“ mit Spannung erwartete Entscheidung des BGH ist von maßgeblicher Bedeutung, nicht zuletzt auch für den „Kartellklagenstandort Deutschland“. In der Tat ist zu vermuten, dass aufgrund dieser Entscheidung auch in „Altfällen“ noch Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden können, hinsichtlich derer bislang ein Verjährungsrisiko bestand, darunter etwa die LKW-, Zucker- und Schienenkartelle, bei denen es mit Streitwerten im Milliardenbereich um viel geht.

Zugleich sind weitere, wichtige Fragen noch offen: Ob etwa in Ermittlungsverfahren der EU-Kommission bereits erste Ermittlungsmaßnahmen oder erst die förmliche Verfahrenseröff-nung die Verjährung hemmen, wird durch die Entscheidung des BGH nicht beantwortet.

Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. Nr. 102/2018 vom 12. Juni 2018