Verwertungsverbot wegen der Verletzung von Mitbestimmungsrechten?

Ist die Verwertung von Ergebnissen einer verdeckten Videoüberwachung bereits nach den allgemeinen Grundsätzen zulässig, so folgt auch kein Verwertungsverbot aus der Missachtung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats nach den §§ 87 Abs. 1 Nr. 6, 77 BetrVG (BAG, Urteil vom 22.09.2016 – 2 AZR 848/15).

Der Fall:

Das Bundesarbeitsgericht hatte im Rahmen dieser Entscheidung über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung zu entscheiden.

Die Klägerin war bei der Beklagten, einem Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels, als stellvertretende Filialleiterin überwiegend als Kassiererin eingesetzt. Für die Beschäftigungsfiliale der Klägerin stellte die Beklagte einen Inventurverlust in den Warengruppen Tabak/Zigaretten und „Nonfood“ in Höhe von mehr als des Zehnfachen im Verhältnis zur vorausgegangenen Inventur fest. Kontroll- und Revisionsmaßnahmen sowie die Überprüfung der Mitarbeiter durch Taschenkontrollen führten nicht zur Aufklärung. Der Betriebsrat stimmte daraufhin der Durchführung einer verdeckten Videoüberwachung zweier genau bezeichneter Mitarbeiterinnen – darunter nicht die Klägerin – im Kassenbereich zum Zwecke der Aufklärung von Straftaten zu. Aus der verdeckten Videoaufnahme des Kassenbereichs ergab sich, dass die Klägerin eine dort befindliche „Musterpfandflasche“ über den Scanner gezogen, eine Leergutregistrierung durchgeführt, die Kassenlade geöffnet und Geld aus der Kasse genommen hatte, welches sie zunächst im Kassenbereich abgelegt und zu einem späteren Zeitpunkt in die Tasche gesteckt hatte. Die Beklagte kündigte daraufhin – nach entsprechender Anhörung der Klägerin und des Betriebsrats – das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstzulässigen Termin. Während das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage stattgab, wies das Landesarbeitsgericht diese ab.

Die Entscheidung:

ie Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts hatte keinen Erfolg. Die Manipulation eines Kassenvorgangs zum Zwecke der eigenen Bereicherung auf Kosten des Arbeitgebers stelle – so das Bundesarbeitsgericht – einen „an sich“ geeigneten wichtigen Grund dar. Im Rahmen der Interessenabwägung habe das Landesarbeitsgericht unter anderem zutreffend berücksichtigt, dass sich die Klägerin bewusst, heimlich und durch eine gezielte Manipulation der Kassenvorgänge auf Kosten der Beklagten bereichert habe.

Das Landesarbeitsgericht sei auch nicht aufgrund eines ungerechtfertigten Eingriffs der Beklagten in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Klägerin sowie ihr Recht am eigenen Bild als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts daran gehindert gewesen, seiner Entscheidung den unstreitigen Sachvortrag über das in den Videoaufzeichnungen zutage getretene Verhalten der Klägerin zugrunde zu legen. Ein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts könne sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren allein aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts ergeben. Ein solches Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot komme also nur dann in Betracht, wenn dies aufgrund einer verfassungsrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten sei. Sofern die prozessuale Verwertung eines Beweismittels in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Prozesspartei eingreife, überwiege das Interesse an seiner Verwertung und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege das Interesse am Schutz dieses Grundrechts nur dann, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzutreten. Zwar greife die verdeckte Videoüberwachung des Kassenbereichs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein. Allerdings sei der Eingriff aufgrund überwiegender Interessen der Beklagten gerechtfertigt gewesen. Eingriffe in das Recht der Arbeitnehmer am eigenen Bild durch verdeckte Videoüberwachung seien dann zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers bestehe, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft seien, die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstelle und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig sei. Der Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung stehe auch nicht entgegen, dass sie in Bezug auf die Klägerin anlasslos stattgefunden habe. Auch bestünde kein Verwertungsverbot, wenn der Betriebsrat bei der Auswertung der Videosequenz nicht beteiligt gewesen sein sollte. Der Schutzzweck von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG und § 77 BetrVG gebiete ein solches Verwertungsverbot jedenfalls dann nicht, wenn die Verwertung der Information bzw. des Beweismittels nach allgemeinen Grundsätzen zulässig sei.

Fazit:

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts überzeugt. So hat das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, dass das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG insbesondere einen kollektiv-rechtlichen vermittelten Schutz des Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer vermitteln solle. Daher ist es nur konsequent, ein auf die Missachtung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG gestütztes Beweisverwertungsverbot zu verneinen, wenn schon nach den allgemeinen Grundsätzen kein Beweisverwertungsverbot angenommen werden kann.

Quelle: BAG, Urteil vom 22.09.2016 – 2 AZR 848/15

Rechtsanwältin Daniela Schwerdtfeger
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