Betriebsübergang: Unterrichtungsschreiben fehlerhaft und trotzdem läuft die Widerspruchsfrist?

Auch wenn im Unterrichtungsschreiben der Hinweis auf die Sozialplanprivilegierung des Erwerbers fehlt, läuft mit Ablauf des Privilegierungszeitraums die Widerspruchsfrist für die Arbeitnehmer an (BAG, Urteil vom 15.12.2016, Az. 8 AZR 612/15).

Der Fall:

Die Parteien in diesem Rechtsstreit stritten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Das Arbeitsverhältnis des klagenden Arbeitnehmers war zum 01.01.2008 von den Wirkungen eines Betriebsübergangs betroffen, über den er mit Schreiben vom 16.11.2007 unterrichtet worden war. In dem Schreiben fand sich kein Hinweis auf das Sozialplanprivileg des § 112a Abs. 2 BetrVG. Nach dieser Vorschrift kann in Betrieben eines neu gegründeten Unternehmens in den ersten vier Jahren nach der Gründung bei Vorliegen einer Betriebsänderung kein Sozialplan über die Einigungsstelle erzwungen werden.

Der Kläger erbrachte ab dem 01.01.2018 seine Arbeitsleistung bei der Erwerberin, die sich im Frühjahr 2013 entschloss, den Geschäftsbetrieb zum 31.12.2013 vollständig einzustellen. Dies nahm der Kläger zum Anlass, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nun zu widersprechen, und beantragte gerichtlich die Feststellung eines Arbeitsverhältnisses zum Veräußerer bzw. dessen Rechtsnachfolger.

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat in dieser Entscheidung offen gelassen, ob die Unterrichtung zum Betriebsübergang aufgrund des fehlenden Hinweises auf die Sozialplanprivilegierung des § 112a Abs. 2 BetrVG fehlerhaft war; es konnte diese Frage deswegen unbeantwortet lassen, da seit der Gründung der Erwerberin bereits mehr als vier Jahre verstrichen waren, so dass sie vom Sozialplanprivileg nicht mehr betroffen war. Der etwaige Mangel im Unterrichtungsschreiben war somit durch Zeitablauf von Gesetzes wegen geheilt worden. Die Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB begann zu diesem Zeitpunkt (vier Jahre nach der Gründung) zu laufen. Der Kläger hatte erst später seinen Widerspruch erklärt, so dass dieser verfristet war und den wirksamen Übergang des Arbeitsverhältnisses zu der Erwerberin nicht mehr verhindern konnte.

Fazit:

Die hohen Anforderungen an ein Unterrichtungsschreiben, das die von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer über die Folgen des Übergangs informieren soll, sind in der Praxis hinlänglich bekannt.

Seit 2013 steht auch fest, dass jedenfalls bei Neugründungen auf Erwerberseite die Arbeitnehmer unbedingt über das Sozialplanprivileg des § 112a Abs. 2 BetrVG unterrichtet werden sollten. Dies unabhängig davon, ob eine Betriebsänderung tatsächlich geplant oder in Aussicht genommen ist. Die Tatsache, dass der Erwerber im Falle einer Betriebsänderung nicht verpflichtet wäre, Regelungen über den Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile mit dem Betriebsrat zu verhandeln und in einem Sozialplan niederzulegen, sieht das BAG als wesentlichen Umstand an, der den Arbeitnehmer bekannt sein muss, um über die Ausübung ihres Widerspruchsrechts entscheiden zu können.

Neu in der Entscheidung vom 15.12.2016 ist der Ansatz des Bundesarbeitsgerichts, dass zur Heilung von Mängeln – jedenfalls bei einer fehlenden Unterrichtung über das Sozialplanprivileg – und Ingangsetzung der Widerspruchsfrist kein korrigiertes Unterrichtungsschreiben notwendig ist. Die sachgerechte Argumentation, dass mit Ablauf des Zeitraums, in dem das Sozialplanprivileg greift, kein Bezug mehr zur entsprechenden Unterrichtungspflicht besteht, überzeugt. In dem Moment, in dem das Sozialplanprivileg kein Motiv mehr für einen Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses sein kann, ist kein Raum für eine zeitlich unbegrenzte Ausübung des Widerspruchsrechts. Die zunächst unvollständige Unterrichtung erweist sich durch Ablauf des Vierjahreszeitraums kraft Gesetzes als vollständig.

Es wäre natürlich wünschenswert, wenn das BAG diese Überlegung auch auf andere Konstellationen, in denen eine zunächst falsche oder nicht vollständige Unterrichtung durch Zeitablauf keinen Einfluss auf die Entscheidungsgrundlage der betroffenen Arbeitnehmer über einen Widerspruch mehr nehmen kann, übertragen würde. Das BAG hat diesen Überlegungen jedoch ausdrücklich eine Absage erteilt und in den Orientierungssätzen klargestellt, dass die Rechtsfolge der Heilung des ursprünglich unvollständigen Unterrichtungsschreibens qua Gesetzes nur bezogen auf die fehlende Information über die Sozialplanprivilegierung des Betriebserwerbers gelten solle. Für die Erstreckung auf andere Mängel im Unterrichtungsschreiben bräuchte es also eine entsprechende gerichtliche Entscheidung.

Quelle:

Entscheidungsgründe des Bundesarbeitsgerichts, Urteil vom 15.12.2016, Az. 8 AZR 612/15

Bundesarbeitsgericht zur Unterrichtung über das Sozialplanprivileg, Urteil vom 14.11.2013, Az. 8 AZR 824/12