„Rückrufpflicht“ im Verfügungswege?

Mit Urteil vom 11.10.2017 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass bei markenverletzenden Handlungen der Unterlassungsverpflichtung auch die Pflicht innewohnt, aktiv einem weiteren Vertrieb rechtsverletzender Produkte entgegenzutreten. Das gelte auch im einstweiligen Rechtsschutz, ohne dass das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache dem entgegenstehe (BGH, Urt. v. 11.10.2017, Az. I ZB 96/16).

Der Fall:

Konkret wurde der Unterlassungsschuldnerin im vorliegenden Fall im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung von Ordnungsmitteln aufgegeben es zu unterlassen, markenverletzend gekennzeichnete Produktverpackungen abzugeben, in Verkehr zu bringen oder zu bewerben. Zwar lieferte die Unterlassungsschuldnerin daraufhin keine neue Ware mit den problematischen Produktverpackungen mehr aus, aber sie rief die bereits an Dritte ausgelieferte Ware auch nicht zurück oder informierte ihre Abnehmer über die gegen sie ergangene Unterlassungsverfügung.

Prompt lieferten Abnehmer bei einem Testkauf Produktverpackungen an die Unterlassungsgläubigerin, die wie in der einstweiligen Verfügung beschrieben gekennzeichnet waren und die sie bereits vor Erlass der einstweiligen Verfügung bei der Unterlassungsgläubigerin erworben hatte.

Die Unterlassungsgläubigerin stellte daraufhin einen Ordnungsmittelantrag nach § 890 ZPO und beantragte den Erlass eines Ordnungsgeldes.

Die Entscheidung:

Der BGH kam nun – anders als die Vorinstanzen – zu dem Ergebnis, dass die Unterlassungsschuldnerin, um ihrer Unterlassungsverpflichtung gerecht zu werden, die bereits ausgelieferten rechtsverletzenden Produkte ggf. tatsächlich hätte zurückrufen oder aber die bekannten Abnehmer wenigstens über die Unterlassungspflicht informieren müssen.

Der Unterlassungsschuldner könne im Rahmen des Möglichen, Erforderlichen und Zumutbaren verpflichtet sein, aktive Maßnahmen zu ergreifen, um auf Dritte einzuwirken und den Weitervertrieb rechtsverletzender Produkte zu verhindern. Ob dies Teil seiner Unterlassungsverpflichtung bzw. der darin enthaltenen Pflicht zur Umsetzung in der Zukunft sei, ergebe sich im Einzelfall aus der Auslegung des Unterlassungstitels. Entscheidend sei, welche Verhaltensweisen er erfasse und ob er den Unterlassungsschuldner zu aktivem Handeln verpflichte. Diese Auslegung habe in Zusammenschau von Tenor, Entscheidungsgründen, Anspruchsbegründung und Parteivortrag zu erfolgen.

Sei eine Handlung zu unterlassen, die einen fortdauernden Störungszustand hervorrufe, sei ein Unterlassungstitel regelmäßig dahin auszulegen, dass er auch zur Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung des Störungszustands verpflichte. Das gelte insbesondere, wenn die Nichtbeseitigung des Störungszustands gleichbedeutend mit der Fortsetzung der Verletzungshandlung sei. Dieser Bestandteil der Unterlassungsverpflichtung stehe neben den speziell normierten Beseitigungspflichten und sei grundsätzlich nicht subsidiär zu behandeln. Während die Unterlassungsschuld nur so weit ginge, den Rückruf zu versuchen, werde der Rückruf spezialgesetzlich zum geschuldeten Erfolg selbst.

Diese Auslegung des Umfangs der Unterlassungspflicht gelte auch im einstweiligen Verfügungsverfahren, wenn der Unterlassungsschuldner sich nicht damit verteidigt habe, dass ihm die Beseitigung des Störungszustands unmöglich oder unzumutbar sei oder sich entsprechendes aus dem Vortrag des Gläubigers ergebe.

Die ihm zur Verfügung stehenden tatsächlichen und rechtlichen Einflussmöglichkeiten auf Dritte müsse der Unterlassungsschuldner nutzen, ohne dass ihr Erfolg am Ende entscheidend sei. Jedoch muss er seine gewerbliche Tätigkeit und auch seine laufenden Geschäftsbeziehungen dadurch nicht gefährden. Hier liegt die Grenze des Zumutbaren und damit die der Verhältnismäßigkeit. Hingegen sei es regelmäßig zumutbar, die Abnehmer zumindest aufzufordern, Waren vorläufig nicht weiter zu vertreiben. Im Zweifel sei dies sogar vertragliche Neben(treue)pflicht gegenüber dem Abnehmer, da dieser sonst ja selbst mit einer einstweiligen Unterlassungsverfügung rechnen müsse.

Darüber hinausgehende Maßnahmen könnten nur in besonderen Einzelfällen erwartet werden, wenn die Voraussetzungen für den ausnahmsweisen Erlass einer Leistungsverfügung vorliegen.

Bedeutung für die Praxis:

Die Entscheidung ist von erheblicher Bedeutung für die Verteidigung gegen markenrechtliche Unterlassungsansprüche im einstweiligen Verfügungsverfahren. Diese hat – unter Berücksichtigung des hiesigen Urteils – nicht nur gegen die materiell-rechtliche Grundlage des Anspruchs selbst zu erfolgen, sondern es sollte vorsorglich auch immer direkt glaubhaft gemacht werden, dass es dem vermutlichen Unterlassungsschuldner nicht zumutbar wäre, rechtsverletzende Waren aktiv aus dem Verkehr zurückzurufen, z. B. weil dadurch Geschäftsbeziehungen gefährdet würden.

Losgelöst hiervon ist Mandanten, die Adressaten einer Unterlassungsverfügung sind, zu empfehlen, ihre Abnehmer über die jedenfalls vorläufige Untersagung zu informieren, da sonst Ordnungsgelder drohen können.