Verfassungsbeschwerde gegen einstweilige Verfügung möglich!

Da könnte in Zukunft eine Menge Arbeit auf das Bundesverfassungsgericht zukommen.

Mit Beschluss vom 6.6.2017 (Az. 1 BvQ 16/17, 1 BvQ 17/17, 1 BvR 764/17 und 1 BvR 770/17) hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Kirchhof und die Richter Masing und Paulus zwar die streitgegenständlichen Verfassungsbeschwerden, die sich gegen presserechtliche Entscheidungen des Landgerichts Hamburg richteten, nicht zur Entscheidung angenommen. Den Ausführungen der 3. Kammer dürfte aber weit über das Äußerungsrecht hinaus in allen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Bedeutung zukommen, wenn durch das angerufene Landgericht vor Erlass der beantragten Verfügung einseitig Kontakt mit der Antragstellerseite aufgenommen worden ist.

Am Ende der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts heißt es, unter diesseitiger Hervorhebung, nämlich zu dieser nicht unüblichen Praxis wörtlich:

„Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass ihr vor Erlass der einstweiligen Verfügungen ohne sachlichen Grund und unter bewusster Umgehung ihrer prozessualen Rechte das rechtliche Gehör verwehrt würde, während das Landgericht zugleich der Antragstellerseite telefonische Hinweise erteile, die weder offen gelegt würden noch überhaupt rekonstruierbar seien. Das Landgericht verlasse sich dabei auf die von der Rechtsprechung für Eilfälle und Sondersituationen anerkannten Heilungsmöglichkeiten, um die Entscheidung entsprechend ständiger Praxis zunächst sehenden Auges unter Übergehung der prozessualen Rechte der Beschwerdeführerin zu treffen; hierdurch würden ihre Verteidigungsmöglichkeiten beeinträchtigt.

[…] Die Rügen beziehen sich auf eine Rechtsverletzung unmittelbar durch die einstweiligen Verfügungen selbst. Dabei können die Verfügungen hinsichtlich der insoweit geltend gemachten Grundrechtsverletzungen vor den Fachgerichten aber nicht wirksam angegriffen werden. Zwar können die einstweiligen Verfügungen in Blick auf andere Rechtsverletzungen – materieller Art, aber auch wegen Verstoßes gegen das rechtliche Gehör – fachgerichtlich angegriffen werden und kann diesbezüglich möglicherweise auch ihre Aufhebung erreicht werden. Die geltend gemachte Grundrechtsverletzung des bei Erlass der Verfügungen bewussten Übergehens prozessualer Rechte kann damit jedoch nicht beseitigt werden. Auch gibt es insoweit keine prozessrechtliche Möglichkeit, etwa im Wege einer Feststellungsklage eine fachgerichtliche Kontrolle eines solchen Vorgehens zu erwirken.

Demzufolge kann aber eine Verfassungsbeschwerde in diesen Fällen unmittelbar gegen die einstweilige Verfügung selbst erhoben werden. Zwar kann auch die Verfassungsbeschwerde die gerügten Rechtsverletzungen nicht mehr beseitigen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sie auf ein fortwirkendes Feststellungsinteresse gestützt werden kann. Die für eine unmittelbar gegen die einstweiligen Verfügungen gerichtete Verfassungsbeschwerde geltende Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG ist indes abgelaufen.“