Fälschlicherweise nur national ausgeschrieben – Unterlegene Bieter sind in ihren Rechten verletzt!

Mit Beschluss vom 02.06.2016 (Verg 15/15) hat das OLG München entschieden, dass Bieter, die an einem fälschlicherweise nur national durchgeführten Vergabeverfahren teilgenommen haben und unterlegen waren, in ihren Rechten verletzt sind und in der Folge die Unwirksamkeit des geschlossenen Vertrages feststellen lassen können. Ein Schaden drohe dem Bieter bereits deshalb, weil er im Fall einer europaweiten Ausschreibung evtl. günstiger kalkuliert und damit eine höhere Chance auf den Zuschlag gehabt hätte.

Sachverhalt

Der Auftraggeber forderte insgesamt acht Busunternehmen zu einer Angebotsabgabe für Schülerbeförderungsleistungen auf und wies dabei ausdrücklich darauf hin, dass die Regelungen der VOL/A keine Anwendung finden sollten. Bei der Schätzung des Auftragswertes hatte er es allerdings unterlassen, Sonderfahrten, die laut Vertrag zum Angebotspreis abgerechnet werden sollten, mit einzukalkulieren, sodass bei korrekter Kalkulation der Schwellenwert überschritten worden wäre und eine europaweite Ausschreibung hätte durchgeführt werden müssen. Der Antragsteller, der Bestandsanbieter war, dieses Mal jedoch nur das zweitgünstigste Angebot abgegeben und den Zuschlag nicht erhalten hatte, beantragte daher bei der Vergabekammer, die Unwirksamkeit der Zuschlagserteilung festzustellen (§ 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB n.F.).

Die Vergabekammer wies den Antrag als unzulässig zurück. Zwar wäre eine europaweite Ausschreibung durchzuführen gewesen, darauf könne sich der Antragsteller jedoch nicht berufen. Zum einen sei der Verstoß für ihn als Bestandsanbieter von Beginn an erkennbar gewesen, sodass er mit seinem Antrag präkludiert sei. Zum anderen fehle es an einer Rechtsverletzung, da sich der Verstoß nicht zulasten des Antragstellers ausgewirkt habe – sein preislich nur zweitplatziertes Angebot habe auch in einem anderen Verfahren keine Berücksichtigung finden können.

Gegen diese Entscheidung legte der Antragsteller sofortige Beschwerde ein.

Entscheidung des OLG München

Und das mit Erfolg!

Das OLG München bestätigte, dass eine europaweite Ausschreibung hätte durchgeführt werden müssen. Anders als die erste Instanz sah es den Antrag aber auch im Übrigen als zulässig und begründet an.

Der Auftragswert, von dem der Auftraggeber ausgegangen sei, sei nicht aus den Vergabeunterlagen erkennbar gewesen. Unter diesen Umständen könnte von einem durchschnittlichen Busunternehmen mit regionalem Schwerpunkt nicht erwartet werden, den Fehler bei der Wahl der Verfahrensart zu erkennen. Vertiefte Kenntnisse des Vergaberechts und insbesondere der Schwellenwerte seien dort nicht vorauszusetzen.

Daneben – und an dieser Stelle wird es interessant – sei der Antragsteller durch die Wahl der falschen Verfahrensart auch in seinen Rechten verletzt. Nach der Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 10.11.2009, Az.: X ZB 8/09) genüge es, wenn der Antragsteller in einem neuerlichen Verfahren bessere Chancen auf den Zuschlag haben könnte als in dem beanstandeten Verfahren. Dies habe der Antragsteller nachvollziehbar dargelegt. In einem europaweiten Verfahren bestünden nicht nur höhere formelle Anforderungen, insbesondere sei auch der Bieterkreis größer. Unter diesen Voraussetzungen hätte der Antragsteller – so sein Vortrag – aufgrund der größeren Konkurrenzsituation günstiger kalkuliert und damit ein erfolgversprechenderes Angebot abgegeben.

Das Gericht stellte die Nichtigkeit des Vertrages fest, der Auftraggeber muss neu ausschreiben – europaweit.

Anmerkung

Auftraggeber, die ihre Kostenschätzungen absichtlich (zu) niedrig ansetzen, um ein nationales Verfahren statt einer eigentlich erforderlichen europaweiten Ausschreibung durchzuführen, sind keine Seltenheit. Durch die Entscheidung des OLG München hat sich jedoch der Kreis der möglichen Antragsteller und damit auch das Risiko vergrößert. Auch alle national unterlegenen Bieter können jetzt die Unwirksamkeit des geschlossenen Vertrages feststellen lassen – mit weitreichenden Folgen wie einer möglichen Rückabwicklung sowie der Pflicht zur neuen Ausschreibung.

Es bleibt allerdings abzuwarten, inwieweit sich andere Gerichte dem OLG München anschließen. Ob es überzeugend ist, Bietern allgemein ein schützenswertes Interesse daran zuzusprechen, ihr Angebot in einem möglichst großen Wettbewerb abzugeben, erscheint zumindest zweifelhaft. Immerhin bestehen bei einem eingeschränkten Teilnehmerkreis eigentlich höhere Chancen auf den Zuschlag. Zudem werden Bieter ermutigt, ihre Angebote zunächst etwas großzügiger zu kalkulieren, wenn sie davon ausgehen, national keine Konkurrenz zu haben. Sollte dann – wie hier – doch jemand anderes ein günstigeres Angebot abgeben, könnte man immer noch ein neues, europaweites Verfahren herbeiführen.

Vorinstanz: Vergabekammer Südbayern, 27.10.2015, Az.: Z3-3-3194-1-46-08/15

Rechtsanwältin Lara Itschert

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